J.P. Haller u.a. (Hrsg.): Selve Thun

Cover
Titel
Selve Thun. Erinnerungen eines Ehemaligen


Herausgeber
Haller, John Peter; Egli, Anita
Erschienen
Oberhofen 2014: Zytglogge Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Bähler

Die Selve ist wohl den meisten Thunerinnen und Thunern ein Begriff. Die älteren erinnern sich an den jahrzehntelang florierenden Metallverarbeitungsbetrieb, der lange der grösste Arbeitgeber der Region Thun war. Die jüngeren hingegen verbinden den Namen Selve eher mit der Industriebrache, die bis vor einigen Jahren eine riesige Partymeile mit nationaler Ausstrahlung und zweifelhaftem Ruf beherbergte.

2013 ist im Berner Zytglogge-Verlag ein hochinteressantes und reich illustriertes Buch erschienen, das die Geschichte der Schweizerischen Metallwerke Selve von ihrer Gründung 1895 bis zu ihrer Liquidation 1993 nachzeichnet. Der Untertitel «Erinnerungen eines Ehemaligen» ist ein Understatement. Wohl hat der Autor seine Lehre in der Selve absolviert und von 1955 bis 1993 ununterbrochen in dieser Firma gearbeitet. Doch die Publikation, die hier vorliegt, ist kein simples Erinnerungsbuch eines ehemaligen Angestellten, sondern eine äusserst facettenreiche Darstellung der Entwicklung der Firma.

Die Gründung der Selve und ihre weitere Entwicklung, Besitzerfamilie, Geschäftsleitung, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Produktion und die Produktepalette, die sozialen Einrichtungen: All diese Aspekte kommen zur Sprache. Auch negative Ereignisse wie Unfälle oder die Vergiftung der Aare im Sommer 1971 lässt der Autor nicht aus. Einzig der Niedergang der Selve in der Krise der 1970er-Jahre, die Übernahme durch den Finanzjongleur Werner K. Rey 1979 und deren Folgen kommen etwas zu kurz.

Hallers Ausführungen sind in einem angenehm sachlichen Ton geschrieben. Seine eigenen Arbeitserfahrungen fliessen aber trotzdem ein und lassen die Firmengeschichte lebendig werden. Haller beschreibt zum Beispiel das Verhältnis der Firmenbesitzerin Else von Selve (1888–1971) zur Direktion, zu den Angestellten, den Arbeiterinnen und Arbeitern und zeigt damit auf, wie prägend diese Frau für die Firma war. Er erzählt aber auch von den Arbeitern, die teilweise bis in die 1950er-Jahre hinein einen langen Arbeitsweg zu Fuss oder mit dem Fahrrad zurücklegen mussten, weil sie auf dem Land lebten, wo sie neben der Arbeit in der Fabrik noch einen kleinen Bauernhof betrieben. Das Schönste am Buch sind die zahlreichen Fotografien, die in bester Qualität reproduziert sind. Sie zeigen Gebäude, Innenräume und Personen. Häufig kennt der Autor die Namen der Personen, manchmal zeigen die Fotos Arbeiter oder Angestellte, auf die er auch im Text eingeht. Am eindrücklichsten sind die Fotos der Arbeiter in den grossen Produktionshallen, wo unter anderem Walzplatten gegossen wurden. Bis 1949 betrug die Temperatur des Walzgutes um 1000 Grad – man sieht den fotografierten Arbeitern die Hitze im Raum und die Schwerarbeit förmlich an.

Es ist ein grosses Verdienst des Autors, aber auch des früheren Thuner Stadtarchivars Jon Keller sowie der Herausgeberin und heutigen Stadtarchivarin Anita Egli, dass sie die Akten der Schweizerischen Metallwerke Selve retteten, archivierten, erschlossen und mit diesem Buch einer interessierten Leserschaft zugänglich machten. Damit bleibt ein Stück Schweizer Industriegeschichte der Nachwelt erhalten, ein Stück Geschichte, das auch die Entwicklung der Stadt Thun nachhaltig prägte.

Zitierweise:
Anna Bähler: Rezension zu: Haller, John Peter; Egli, Anita (Hrsg.): Selve Thun. Erinnerungen eines Ehemaligen. Oberhofen: Zytglogge Verlag 2013. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 76 Nr. 3, 2014, S. 82-83.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 76 Nr. 3, 2014, S. 82-83.

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